Im Laufe unseres Lebens stellen wir uns vielen Herausforderungen – manchmal gezwungenermaßen und manchmal weil wir es uns so ausgesucht haben. Ob beruflicher oder privater Natur, mitunter fällt es uns schwer, alleine Lösungen zu finden und wir nehmen uns selbst als gelähmt wahr. In solchen Fällen kann Coaching eine sehr effektive Methode sein, um Unterstützung zu erhalten und neue Wege zu finden. Systemisches Coaching ist eine Form des Coachings, die sich auf die Interaktion und Zusammenhänge innerhalb eines Systems konzentriert. Der folgende Blogartikel beleuchtet die Herkunft und das Konzept des systemischen Coachings, wie es funktioniert und welche Vorteile es bietet.
Woher kommt (systemisches) Coaching?
Coaching ist in aller Munde und doch kursieren die verschiedensten Definitionen. Um systemisches Coaching zu verstehen und abgrenzen zu können, lohnt sich zuallererst ein Blick auf die Definition von Coaching.
Woher kommt Coaching?
Coaching ist heutzutage ein Sammelbegriff für unterschiedliche Beratungsmethoden, das Wort Coach stammt jedoch etymologisch und phonetisch ursprünglich aus Ungarn und bedeutet “Kutsche”. Das kleine ungarische Dorf Kocs war ab dem 15. Jahrhundert in Europa bekannt für die Herstellung erstklassig gefederter Kutschwagen und in der Folge verantwortlich für die Namensgebung des Gefährts. Ab dem 16. Jahrhundert wurde der Begriff in verschiedene europäische Sprachen übersetzt: Englisch – Coach, Deutsch – Kutsche, Französisch – Coche, Italienisch – cocchio, Spanisch – coche. Um 1848 wurde der Begriff erstmals (eher scherzhaft) benutzt, um private Tutoren für Studenten zu bezeichnen. Um 1885 wurde der Begriff dann das erste Mal für Trainer im Sport verwendet. Um 1980 wurden die Begriffe Coach und Coaching genutzt, um die Ausbildungs- und Trainingsmethoden im Management zu bezeichnen. Da der Begriff aus dem Englischen ins Deutsche übergeleitet wurde, hat er in diesem Zuge sein ursprüngliches weibliches Geschlecht verloren.
Was bedeutet “systemisch”?
“Systemisch” bezieht sich auf die Betrachtung von Individuen, Gruppen oder anderen Elementen als Teil eines Systems, das in Wechselwirkung mit anderen Systemen steht. Ihren Ursprung findet diese Herangehensweise in der Systemtheorie, welche eine interdisziplinäre Theorie ist, die sich mit der Untersuchung und Modellierung von Systemen beschäftigt. In den 1920er Jahren wurde der Begriff hauptsächlich durch den österreichischen Biologen Ludwig von Bertalanffy geprägt, der eine Theorie der “allgemeinen Systeme” entwickelte. In den 1950er Jahren wurde die initiale Theorie in verschiedenen Disziplinen, wie zum Beispiel der Soziologie, der Psychologie und der Wirtschaft angewendet, was bereits in den 1960er Jahren zu neuen Ansätzen in der Unternehmensführung und der Organisationsentwicklung führte.
Wie passt “systemisch” und “Coaching” zusammen?
Das systemische Coaching hat seine Wurzeln in der Familientherapie. In den 1950er und 1960er Jahren entwickelten unter anderem die Therapeuten Gregory Bateson und Paul Watzlawick die Systemtheorie mit. Diese besagt, dass ein System immer mehr ist als die Summe seiner Teile und dass es durch seine Interaktionen und Beziehungen definiert wird. Das systemische Coaching selbst wurde in den 1990er Jahren als eigenständige Methode entwickelt. Ein wichtiger Vertreter des systemischen Coachings ist der österreichische Psychotherapeut Gunther Schmidt. Er entwickelte das Konzept des lösungsorientierten Coachings, das sich auf die Lösung von Problemen konzentriert und nicht auf die Analyse von Ursachen. Im Mittelpunkt steht die Frage, wie das gewünschte Ziel erreicht werden kann.
Wie funktioniert systemisches Coaching?
Systemisches Coaching basiert auf verschiedenen Grundhaltungen, welche das Fundament einer erfolgreichen Coach-Klient-Arbeit darstellen und klar definierten Prozessen und Methoden. Folgende Eigenschaften wirst du bei deinem systemischen Coach feststellen können, da diese die Basis für einen klar definierten, lösungsorientierten Prozess sind.
Die Coaching Grundhaltungen
- Der/Die Klient/in ist Expert/in für die Lösung.
Der oder die Klient*in ist zu jeder Zeit für die Herleitung möglicher Lösungen verantwortlich, während sich der Coach mit eigenen Hypothesen und Lösungsansätze gänzlich zurückhält, jedoch stattdessen mit gezielten Fragen neue Lösungsräume eröffnet. Denn nur so kann die individuell passende Lösung gefunden werden und die Lösungskompetenz der Klienten gesteigert werden.
- Der Coach nimmt eine allparteiliche und transparente Rolle auf Augenhöhe ein.
Allparteilichkeit bedeutet in diesem Zusammenhang, dass sich der Coach selbst als Teilnehmer des Systems wahrnimmt, jedoch gegenüber allen, vom Klienten geäußerten, Schilderungen eine Position einnimmt, welche für alle Elemente gleichmäßig Partei bezieht. Gleichzeitig ist der Coach zu jedem Zeitpunkt transparent in seinem Handeln und Denken. Der Prozess des Coachings ist ein gemeinschaftlicher Akt auf Augenhöhe.
- Jedem Verhalten liegt eine positive Absicht zugrunde.
Im Coaching gehen wir davon aus, dass jedes Verhalten im Ursprung einmal eine positive Absicht (zB Selbstschutz, Aufmerksamkeit, etc.) verfolgt hat und diese positive Absicht auch nach wie vor verfolgt. Jedoch kommt es häufig vor, dass das Verhalten mittlerweile nicht mehr zeitgemäß ist und deshalb als problematisch wahrgenommen wird.
- Körper und Geist beeinflussen sich gegenseitig.
Systemisches Coaching arbeitet ebenfalls häufig mit der Wechselwirkung zwischen Körper und Geist, und nicht selten kann eine veränderte Sichtweise im Geiste eine Veränderung im Körper und umgekehrt hervorrufen. (siehe Psychosomatik) Dieses Phänomen machen wir uns im Coaching zu Nutze und arbeiten gezielt mit körperlichem Erleben.
- Veränderung ist nur gut, wenn sie sich lohnt.
Jedes Verhalten hat einen bestimmten Wert (siehe auch positive Absicht), ansonsten wäre die Verhaltensweise bereits geändert. Um eine neue Verhaltensweise etablieren zu können, muss deshalb der Werte des Neuen größer sein, als der Werte der vorherigen Verhaltensweise.
- Es gibt keine Wahrheit, nur Wirklichkeitskonstruktionen.
Im Coaching gehen wir davon aus, dass alle Menschen in ihrer jeweils eigenen Wirklichkeitskonstruktion leben und denken, welche es in der Form kein zweites Mal auf der Welt gibt. Aus diesem Grund kann für Person A etwas wahr sein, was für Person B gänzlich unwahr wäre. Daher sprechen wir im Coaching nicht von richtig oder falsch, sondern von passend oder unpassend und respektieren die jeweilige Wirklichkeitskonstruktion unserer Klienten.
- Die Gestaltung der Gegenwart bestimmt die Wirkung der Vergangenheit im Jetzt.
Die Art und Weise, wie wir unsere Gegenwart gestalten, also wie wir mit uns selbst und anderen umgehen, beeinflusst direkt, wie wir unsere Vergangenheit erleben und interpretieren. Es gibt daher keine objektive oder unveränderliche Vergangenheit, sondern unsere Wahrnehmung der Vergangenheit hängt von unserem gegenwärtigen Standpunkt ab. Im Umkehrschluss hat eine positive oder negative Wahrnehmung der Vergangenheit eine direkte positive oder negative Wechselwirkung im Jetzt.
- Die besten Lösungen entstehen durch Wahlfreiheit.
Im Coaching versuchen wir möglichst vielfältige Lösungsoptionen zu erarbeiten, um den Klient*innen eine Wahl zu ermöglichen und Lösungen gegenseitig abzuwägen, was in der Regel zu passgenaueren Lösungen führt.
Die Methodik von Coaching: Wie die Grundhaltung Anwendung findet
Im systemischen Coaching werden verschiedene Techniken und Methoden innerhalb eines vordefinierten Ablaufs eingesetzt, um das Bewusstsein des Klienten zu erweitern und neue Perspektiven zu schaffen. Wie ein Coaching genau abläuft, haben wir in diesem Blogartikel für dich zusammengefasst. Insbesondere liegt der Fokus darauf, den Klienten dabei zu unterstützen, sich bewusst zu werden, wie seine Gedanken, Handlungen und Entscheidungen in Beziehung zu anderen Personen und Systemen stehen, und wie diese Beziehungen die individuellen Probleme oder Herausforderungen beeinflussen können.
Einige dieser Techniken umfassen:
- Systemische Fragen: Offene Fragen, die den Klienten dazu anregen, seine Gedanken und Gefühle zu reflektieren und seine Wahrnehmung zu erweitern, um die Wechselwirkungen im System zu erkennen.
- Interventionen: Methoden, die versuchen mit Hilfe von verschiedenen Wirkelementen wie zB Dissoziation/Assoziation, zieldienliches Körpererleben, Meta-Positionen und Ressourcen-Aktivierung, die Perspektive zu wechseln und neue Lösungsräume zu öffnen. Eine weitverbreitete Intervention ist zum Beispiel die sogenannte Aufstellungsarbeit, hierbei wird das System des Klienten durch Stellvertreter oder Symbole dargestellt, um das Beziehungsgeflecht sichtbar zu machen.
- Skalierungen: Skalen werden häufig genutzt, um den aktuellen Zustand einzuordnen und greifbar zu machen, Ziele zu definieren und in Teilschritte unterteilen zu können.
Was sind Anwendungsgebiete für systemisches Coaching?
Systemisches Coaching wird sowohl in Einzelsitzungen (1-1 Coaching) als auch innerhalb von Gruppen (z.B. Familien, Teams, Partner*innen, …) angewendet.Thematisch kann es im Coaching um rein professionelle bis hin zu ausschließlich privaten Themen gehen. Erfahrungsgemäß ist ein Coaching dann am erfolgreichsten, wenn alle Bereiche ganzheitlich betrachtet werden. Das liegt daran, dass sich häufig Probleme oder bestimmte Verhaltensweisen in verschiedenen Systemen wiederfinden. Ein systemisches Coaching eignet sich insbesondere bei Problemen oder Herausforderungen, die du, trotz intensiver Auseinandersetzung mit dem Thema, nicht allein lösen konntest. Ob ein Thema coaching-relevant ist, kann ein gut ausgebildeter Coach (erkennbar an der Zertifizierung) bereits im Vorgespräch bewerten.An den folgenden Zertifizierungen und Verbänden kannst du erkennen, ob ein Coach in Deutschland anerkannt ist:
- DBVC (Deutscher Bundesverband Coaching)
- DVCT (Deutscher Verband Coaching Training)
- ECA (European Coaching Association)
Fazit / Zusammenfassung
Das systemische Coaching, wie wir es heute kennen, hat einen langen Weg hinter sich und wurde von vielen großen Persönlichkeiten der Psychologie und Psychotherapie entwickelt. Es folgt klaren Vorgaben, Methoden und Prozessen, dessen Qualität durch Verbände und Zertifizierungen gesichert wird. Es bietet eine hervorragende Möglichkeit, innerhalb kurzer Zeit mit Hilfe von verschiedenen Methoden Lösungen zu entwickeln, die nachhaltig Wirkung zeigen. Ein passender Coach sollte ein anerkanntes Zertifikat durch eine entsprechende Ausbildung erhalten haben und die Coaching Grundhaltungen beherzigen, welche konsequent die Selbstwirksamkeit der Klient*innen erhöhen.